Donnerstag, 10. Juli 2014

Interkulturelle PFIVV-Vermittlerin Kadrie Mustafova

erzählt im Interview der MaMo-Reporterin Kathrin Miedniak

über ihr „Ankommen“ in Viernheim und Deutschland.

Es ist noch nicht lange her, da konnte Kadrie Mustafova selbst kein Wort Deutsch.

Doch die 33-Jährige biss sich durch den Sprachkurs und hilft heute Erstklässlern der Lampertheimer Schillerschule bei den Hausaufgaben.

 

VIERNHEIM. Deutsch zu lernen ist für Kadrie Mustafova keine lästige Pflicht. "Ohne Sprache kann ich mich nicht frei fühlen", sagt sie und streicht mit einem verlegenen Lächeln ihre langen blonden Haare zurück. Verlegen, weil dieser Satz so pathetisch klingt. Trotzdem sagt sie ihn genauso. Denn die Bulgarin weiß noch gut, wie sie sich kurz nach ihrer Ankunft im Jahr 2007 in Viernheim gefühlt hat: gefangen. Sprechen konnte sie damals nur mit ihrem Mann und ihrer vierjährigen Tochter. Der Höhepunkt ihres Tages war der Ausflug zum Spielplatz. Nach einigen Monaten hatte die studierte Bio- und Chemielehrerin das Gefühl, langsam zu ersticken.

Das alles ist sieben Jahre her. Heute spricht Mustafova fließend Deutsch. Sie arbeitet ehrenamtlich an zwei Tagen in der Woche als Mediatorin beim Projekt für interkulturelle Vermittlung in Viernheim (PfiVV), betreut im Auftrag des Lernmobils Erstklässler der Lampertheimer Schillerschule und macht eine Fortbildung zur "Eltern-Multiplikatorin". Das komplizierte Wort kommt ihr locker über die Lippen. Und das, obwohl sie den Deutschsprachkurs am Lernmobil nur bis Level B1 verfolgt hat. Für die drei fortgeschritteneren Kurse müsste sie nach Mannheim fahren. "Der Aufwand ist mir momentan zu groß", sagt Mustafova, die mittlerweile zweifache Mutter ist. Vielleicht holt sie die Kurse nach, wenn ihr heute zweijähriger Sohn älter ist. "Erfolgreich zu sein heißt für mich nämlich, sich weiterzuentwickeln."

Im Moment helfen ihr die Erstklässler der Lampertheimer Schillerschule bei dieser Weiterentwicklung. "Mit so kleinen Kindern zu arbeiten, ist neu für mich", erzählt die Wahl-Viernheimerin. Vor allem bei den Hausaufgaben hilft sie gerne, verbessert, erklärt, rechnet vor. "Die Arbeit mit den Kindern ist die beste Übung, um Deutsch zu lernen." Außerdem kommt es ihrem eigentlichen Beruf sehr nahe. "Es ist eine Selbstbestätigung", erklärt die 33-Jährige.

Eigentlich wollte Mustafova nach ihrem Studium in der bulgarischen Stadt Shumen Karriere als Lehrerin für Fünft- bis Zwölftklässler machen. Doch die hohe Arbeitslosigkeit in ihrer Heimat machte die Jobsuche schwierig. Mustafova entschied sich, ihrem Mann zu folgen, der Arbeit bei einer Viernheimer Fliesenleger-Firma gefunden hatte. Bis sie das Gefühl hatte, in der Brundtlandstadt zu Hause zu sein, dauerte es aber rund vier Jahre. "Das war keine leichte Zeit, in einem fremden Land mit einer fremden Sprache", erinnert sich Mustafova. Doch sie biss sich durch. "Man muss sich Zeit geben."

Die Bulgarin belegte Deutschkurse beim Lernmobil und macht eine Ausbildung zur interkulturellen Vermittlerin. Als solche beantwortet sie Zuwanderern Fragen aller Art in Bulgarisch und Türkisch, ihrer zweiten Muttersprache. Manchmal übersetzt sie auch Eltern-Lehrer-Gespräche. Anderen zu helfen gibt ihr ein gutes Gefühl. Und noch etwas beobachtet Mustafova an sich: "Seit ich arbeite, fühle ich mich angekommen in Viernheim."

 

Abschlüsse nicht anerkannt

Sie lacht. "Manchmal, wenn ich beim Beantworten der Fragen merke, wie gut ich mich hier auskenne, habe ich sogar das Gefühl, eine Viernheimerin zu sein." Als Migrantin fühlt sie sich nicht. "Ich werde auch nicht diskriminiert", erklärt sie schulterzuckend. Viernheim sei sehr offen gegenüber Zuwanderern. Trotzdem vermisst sie ihre Heimat, wo ihre gesamte Familie lebt. Zweimal im Jahr stattet sie zwar allen einen Besuch ab. "Aber das reicht natürlich nicht", sagt Mustafova und verzieht das Gesicht. Trotzdem hält sie es für den richtigen Weg, nach Deutschland gekommen zu sein. "Ich habe jetzt eben zwei Zuhause", beschreibt sie ihre Situation pragmatisch.

Ihre Zukunft sieht die 33-Jährige klar in Viernheim, wo ihre Kinder aufwachsen. Wenn sie eines Tages in Deutschland als Lehrerin arbeiten will, muss sie allerdings noch einmal an die Uni. Ihre bulgarischen Abschlüsse werden hier nur zum Teil anerkannt, einen Teil der Prüfungen müsste sie erneut ablegen. "Abhaken will ich das auf keinen Fall", betont die Bulgarin. Zuerst einmal steht aber eine Prüfung als Eltern-Multiplikatorin an. Die Fortbildung macht sie zurzeit am Lernmobil. Das Ziel ist es, Eltern bei der Erziehung zu beraten. Als die 33-Jährige das Projekt erklärt, liegt ein Strahlen auf ihrem Gesicht. Kadrie Mustafova ist angekommen.

 

© Südhessen Morgen, Freitag, 04.04.2014

Kathrin Miedniak

 

 

 

 

 

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